WELTKULTURERBE IRLAND



Archäologisches Ensemble Bend of the Boyne

Es war der 21. Dezember 1969, als Professor O’Kelly vom University College Cork eine außergewöhnliche Entdeckung machte. An diesem Tag der alljährlichen Wintersonnenwende wartete er in der steinzeitlichen Grabanlage von Newgrange auf den Sonnenaufgang.

Newgrange, Irland

Eingang zur Grabanlage

Foto: I, Clemensfranz [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC-BY-2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.5)], via Wikimedia Commons

Kurz nachdem der goldene Lichtbogen den Horizont überschritten hatte drang ein winziger Strahl durch eine schlitzartige Öffnung oberhalb des Grabeingangs bis in den hintersten Winkel der inneren Grabkammer und erleuchtete sie schließlich ganz. Eine Viertelstunde lang dauert dieses Lichtschauspiel alljährlich, dieser Sieg des Lichtes nach dem kürzesten Tag des Jahres. Und auch heute noch, wenn dieses Ereignis tagtäglich mit Hilfe künstlicher Lichtquellen für die großen Touristenströme „nachgespielt“ wird, kann man sich dessen Faszination nicht entziehen.



Diese zweifellos äußerst präzis geplante und ausgeführte Erleuchtung der Grabkammer erstaunt umso mehr, als das Alter des Grabes auf über 5000 Jahre veranschlagt wird, das Grab von Newgrange also älter ist als Stonehenge im benachbarten England, ja sogar älter als die weltberühmten großen Pyramiden von Gizeh in Ägypten.

Newgrange, Irland

Foto: Jean Housen (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Von ihren Erbauern ist nur wenig bekannt, nur einige Feuersteine und Keramikfunde blieben aus jener Zeit erhalten, so dass Ganggräber wie das von Newgrange die aussagekräftigsten und interessantesten Spuren darstellen. Die monumentalen Grabanlagen verweisen auf eine Zeit, das beginnende vierte Jahrtausend v. Chr., als das ausschließliche Jäger- und Sammlerdasein der Menschen in Irland schrittweise von der Sesshaftigkeit abgelöst wurde. Die Menschen der Jungsteinzeit betrieben auf der Grünen Insel Viehzucht, hielten Kühe, Schafe und Ziegen. Die Erträge von Landwirtschaft und Viehzucht müssen groß gewesen sein, die Gesellschaft bereits eine stabile, auf Dauer angelegte Ordnung ausgebildet haben, wenn sie zu solch monumentalen Bauwerken in der Lage war. Denn offensichtlich war ein beträchtlicher Teil der Arbeitskraft der Gemeinschaft notwendig, um derartige Monumente zu errichten. Tonnenschwer waren einzelne Steine dieser Grabanlage, zudem mussten sie zum Teil aus großer Entfernung herbeigeschleppt werden, da derartiges Gestein in der näheren Umgebung nicht zu finden ist. Der Grabhügel mit seinen knapp 100 Metern Durchmesser und über 11 Meter Höhe verbirgt einen 20 Meter langen Gang, begrenzt von 42 zwischen 1,50 und 2,40 Meter hohen Menhiren, durch den man zur zentralen Grabkammer gelangt, von der drei weitere Grabnischen kleeblattförmig abgehen. Noch heute lässt die präzise Konstruktion des mächtigen Steindaches keinen einzigen Regentropfen durch, ein kleines Wunder, bedenkt man, was es bedeutet, dem irischen Regen zu trotzen. Steinbecken in den Seitenkammer bargen Asche und Knochen von Toten sowie Grabbeigaben. Bemerkenswert und Gegenstand wildester Spekulationen sind die eingeritzten Verzierungen der verwendeten Platten und Steine, sie zeigen Kreise und Spiralen, Rauten und Zickzackmuster und erinnern in ihrer Gestalt durchaus an andere europäische Megalithbauten.

Ähnlich eindrucksvoll das nicht weit entfernte Ganggrab von Knowth.

Howth, Irland

Die Grabanlage von Knowth

Foto: Superchilum (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Es wäre sicherlich zu kurz gegriffen, Newgrange und die benachbarten mächtigen Grabanlagen lediglich als letzte Ruhestätte damaliger Herrscher zu begreifen. Sie waren Bestandteil eines weiterreichenden religiösen Kults, Ausdruck der Lebens- und Todesvorstellungen einer Gesellschaft, die der Natur nicht mehr nur sammelnd gegenübertrat, sondern als landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaft schon ein enormes Wissen angesammelt hatte. Ein Wissen, das nicht nur Natur- und Himmelsbeobachtungen wie die Wintersonnenwende präzise zu berechnen wusste, sondern das auch Produktions- und Transporttechniken umfasste, die man auf den ersten Blick kaum mit dem Begriff einer steinzeitlichen Gesellschaft in Verbindung bringt.


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